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Begegnungen in Zeiten der Trauer

"Der Tod ist kein Schnitter, der Mittagsruhe hält; mäht zu allen Stunden und schneidet sowohl das dürre wie das grüne Gras."

Begegnungen in Zeiten der Trauer

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Mein Thema ist heute: Was ist anders, wenn sich zwei Menschen begegnen in Zeiten der Trauer? Ergänzen werde ich mein Thema mit einem Blick auf Kinder in der Begegnung in  Zeiten der Trauer.

Wenn ich von „Trauer“ schreibe, ist in erster Linie immer die ganz subjektive Trauer gemeint, die der Einzelne erfährt. Vielleicht stellt sich Trauer ein meist bei einem Verlust, nicht nur Verlust eines Menschen, auch nicht nur durch den Tod, sondern auch Verlust eines Tieres, Verlust von Hab und Gut, Verlust der Arbeitsstelle, der Heimat usw. Vielleicht löst der Tod eines nahen Menschen die größte Trauer aus. Wenn aber die Trauer ein subjektives Erleben ist, ist auch die Intensität der Trauer subjektiv. So kann auch z.B. der Verlust eines unersetzlichen Erinnerungsstücks jemanden in tiefe Trauer stürzen lassen. Und jemand anderes empfindet keine tiefe Trauer beim Verlust eines nahe Angehörigen.

Dies im Hinterkopf, nähere ich meinem Thema. Ich werde von Trauer reden, aber nicht auf die erwähnten subjektiven Anteile der Trauer eingehen. Das wäre vielleicht eher etwas für das therapeutische oder seelsorgliche Gespräch. Dort könnten die subjektiven Anteile und ihre Wirkung angemessen betrachtet werden.

Vier Zugänge habe ich gewählt. Entweder einer trauert und der Andere nicht oder beide trauern um gleiches oder ungleiches. Dann noch ein Abschnitt über Kinder und abschließend zu Wegen der Begegnung in Zeiten der Trauer.

1. Einer trauert und der Andere, dem er begegnet, nicht

Wie ist das für mich, wenn ich traure? Es kann sein, dass ich mich in einem anderen Zustand befinde und die Außenwelt mit Abstand betrachte, anders als sonst. Es kann aber auch sein, dass ich hoch sensibel für meine Umwelt bin. Oder ich nehme bei mir keine Veränderung wahr. Vielleicht fühle ich mich auch total schwach oder verletzlich. Oder ich habe den Eindruck oder das Gefühl, anders zu sein als alle anderen, einsam. Durch mein Trauern kann sich die Beziehung grundsätzlich verändern. Nun gehört der Verlust gezwungenermaßen zur Beziehung. Da kann ich nicht hinter zurück. Auch wenn die Trauer abgenommen hat, bleibt dieser Beziehungsaspekt.

Wenn ich nun als Trauernder jemandem begegne, der nicht trauert, kann ich den Kontakt vermeiden oder in Kontakt gehen. Der andere hat auch beide Möglichkeiten. Für mich ist die Frage, was brauche ich jetzt und brauche ich das von demjenigen, den ich gerade treffe. Und habe ich die begründete Erwartung, dass er bereit ist, mir das zu geben, was ich gerade brauche. Eine Garantie gibt es natürlich nicht. Es hängt davon ab, wie gut ich die Situation einschätzen kann. Das ist kein langes Nachdenken, denn die Möglichkeit einer Begegnung ist eher spontan oder vorbei. Mein Bedürfnis kann sehr unterschiedlich sein: Ein Gespräch über meinen Verlust, Trost, ein freundlicher Smalltalk, ein Gruß, ein Lächeln, einen Kaffee miteinander trinken, … Vielleicht ist mein Bedürfnis den Kontakt zu vermeiden ggf. mit dem Risiko, dass der Kontakt hätte heilend sein können. Auch in meiner Trauer bin ich lernfähig und nicht festgelegt. Was heute in dieser Begegnung gut für mich ist, kann Morgen oder in der Begegnung mit einem anderen Menschen ganz anders sein. Vielleicht kann man sagen: Die Trauer gibt mir die Erlaubnis, mehr auf mein Bedürfnis zu achten als auf das Bedürfnis des Anderen. Das heißt nicht, dass meine Trauer ein Freifahrtschein für Empathielosigkeit ist. Auch in der Trauer ist alles, was ich bin, immer noch da. Auch wenn die Wahrnehmung vielleicht verändert ist, werde ich nicht zu einem anderen Menschen.

2. Einer trauert nicht, aber der Andere, dem er begegnet

Was ist, wenn ich als nicht Trauernder, jemandem begegne, der trauert? Der Gedanke an diese Situation stellt mir einige Fragen. Kenne ich persönlich Trauer? Und weiß ich, dass meine Trauer völlig unterschiedlich ist als die Trauer eines Anderen? Wo verbindet uns die wenn auch unterschiedliche Trauer des Anderen mit meiner Trauer, die ich einmal kennengelernt habe, in der ich aber im Moment nicht bin? Oder wird im Angesicht der Trauer meine Trauer „reaktiviert“? Wenn dem so ist, bin ich dann in der Lage mich der Begegnung mit einem Trauernden auszusetzen? Es könnte sein, dass dann einen Umkehrung des Tröstens stattfindet. Ich werde von dem Trauernden getröstet. Das kann gut oder auch nicht gut sein. Es könnte sein, dass es für den Trauernden eine gute Erfahrung ist, sich selber als Tröstender als handlungsfähig zu erleben in seiner Trauer. Was verändert sich in diesem Moment der Begegnung in unserer Beziehung? Es kann sein, dass ein eher ferner Mensch einem ganz nahe ist. Eine andere Frage ist: Kann ich mich jetzt in diesem Moment der Trauer und der Begegnung mit dem Trauerden aussetzen? Was brauche ich eventuell für mich, damit ich es kann?

Worin besteht die Chance einer Begegnung mit einem Trauernden, wenn ich nicht trauere? Ich bin nicht geschwächt durch die Trauer. Ich bin nicht direkt betroffen. Wenn ich es erkenne, kann ich dem Trauernden das geben, was er im Moment braucht. Und da sind viele Möglichkeiten: Vielleicht braucht er, dass ich ihn in Ruhe lasse, dass ich ihn mal drücke, dass ich ihm zuhöre, egal was er sagen möchte, dass ich ihm das Gefühl gebe, dass er durch seine Trauer nicht ausgeschoßen oder ausgestossen, dass er einen Moment der Heiterkeit erlebt, … Es gibt keine Garantie, dass die Begegnung gelingt oder einfach gut ist. Es ist für mich vielleicht die Möglichkeit, meine Einfühlsamkeit zu schulen und zu vertiefen. Bei allem hat m.E. der Trauende Vorrang in der Begegnung. 

3. Zwei Trauernde, die gleiches betrauern, begegnen einander

Scheinbar einfach ist es, wenn zwei sich begegnen, die den gleichen Verlust betrauern. Ich habe gesagt „scheinbar“, denn es ist zugleich schwierig. Ich gehe eventuell davon aus, dass der Andere empfindet wie ich. Das Wort „Trauer“ hat einen Gehalt, der von allen geteilt wird, die Trauer um einen Verlust. Wie groß die Trauer ist, welche Emotionen und weitere Gefühle sie auslöst, welche körperlichen Reaktionen auftreten, kann sehr unterschiedlich sein. Es müssen auch nicht beide an dem Punkt sein, dass sie das Bedürfnis nach Nähe, Austausch oder Begegnung überhaupt haben. Vielleicht lädt die Situation des Trauerns um den gleichen Verlust eher dazu ein, gemeinsam zu schweigen oder gemeinsam etwas zu tun. Es könnte sein, dass dieses Gemeinsamen zum gemeinsamen Trauern wird, aber nicht muss.

4. Zwei Trauernde, die unterschiedliches betrauern, begegnen einander

Ich möchte es von zwei Seiten betrachten. Die eine Seite ist, beide sind an einem ähnlichen Punkt, „ähnlich“ weil Trauer immer anders erlebt wird. Zugleich ist dieser Unterschied direkt deutlich, da der Verlust ein anderer ist. Ein hilfreicher Austausch in der Begegnung ist möglich, wenn jeder im Gespräch Raum gibt und Raum nimmt. Dies kann gelingen, wenn beide an dem Punkt sind, dass sie Begegnung suchen. Die andere Seite ist, dass die eigene Trauer eine Offenheit für die Trauer eines Anderen blockiert oder hindert. Selber in Trauer zu sein und jemandem zu begegnen, der auch in Trauer ist, kann für den Moment eine Überforderung sein. Wenn man selber trauert und dadurch ggf. geschwächt ist, ist es vielleicht schwierig zu erkennen, was für mich und vielleicht auch für den Anderen das Richtige ist. Hilfreich für mich ist dann, barmherzig mit mir selber zu sein. 

5. Begegnung mit Kindern in Zeiten der Trauer

„Trauer ist Trauer“, könnte ich sagen, aber erst Recht auf Kinder hin ist diese Aussage falsch. Bei Kindern kommt zum Verstehen ihrer Trauer hinzu, dass sie abhängig ist von ihrer Entwicklung. Wenn es für Trauer ein Maß gäbe, ist die Trauer bei Kindern nicht mehr oder weniger intensiv als bei Erwachsenen. Vielleicht ist mein Blog „Thesen zum Umgang mit Kindern angesichts des Todes“ hilfreich, der aus einer etwas anderen Sichtweise mit dem Thema umgeht. Ich finde wichtig ist, dass Kinder möglicherweise eine andere Art haben, ihre Trauer auszudrücken. Das kann für uns Erwachsene verwirrend sein. Mir erscheint es wichtig, in einem einfühlsamen Kontakt mit dem Kind zu sein ohne es zu überfrachten. Wenn der Eindruck entsteht, dass kein Zugang mehr da ist, sollte man ggf. professionelle Hilfe suchen.

6. Wege in Zeiten der Trauer

    • da sein
    • schweigen
    • Stille aushalten
    • Ohnmacht aushalten
    • Ablehnung aushalten
    • zuhören
    • nicht verstehen und sich trotzdem nicht zurückziehen
    • beten
    • Kuchen backen
    • mutig sein
    • barmherzig sein mit sich selbst
 Es könnte sein, dass der Weg im Gehen entsteht. Vielleicht oder ganz sicher eröffnen sich noch mehr Wege.

©️ Willi Oberheiden 2024

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