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Das Tetraeder Beziehungsmodell

Das Tetraeder Beziehungsmodell

Es begann vor nicht ganz 60 Jahren mit einem kleinen Supermarkt in Gymnich. Dort gab es „Sunkist“ zukaufen. Ein Orangengetränk ohne Kohlensäure. Die Verpackung war ein Tetraeder, etwas ich damals als Kind nicht wusste. Was ich wusste war, dass man mit dem an die Packung angeklebten Trinkhalm vorsichtig mit seiner Spitze die dafür vorgesehene Stelle der Verpackung durchstoßen musste. Knickte die Spitze ab, war es eine längere Prozedur, bis ich an den Inhalt gelangte. Ich wusste nur nicht, dass die geometrische Form „Tetraeder“ heißt, sondern auch nicht, dass die Verpackung Berge von Müll erzeugte. Der Gewinn für heute und diesen Blog ist die Form des Tetraeders.

Das Tetraeder Beziehungsmodell ist mein Versuch, ein anschauliches und einfaches Modell zu finden, mit dem Beziehung in ihren unterschiedlichen Aspekten visualisiert werden kann. Der Tetraeder hat vier Seiten, vier Seitenlinien und vier Eckpunkte. Diese „Vier“ ist das, was ich für mein Model benötige. Die vier Eckpunkte entsprechen den vier Beziehungs(sicht)weisen* ICH, DU, WIR und GOTT (oder auch Transzendenz). Das Modell pflückt diese Beziehungs(sicht)weisen auseinander, um Beziehung besser zu verstehen, auch wenn sie nicht trennbar und nicht für sich alleine existieren.

 

Tetraeder als Beziehungsmodell

Die vier Beziehungs(sicht)weisen

ICH

Das ICH ist, wie ich mich ganz subjektiv erlebe. Es ist das Konstrukt meiner selbst. Auch wenn ich existiere ohne ein Bewusstsein über mich selber zu haben, so werde ich erst im Denken zu dem was ich bin. Von meinem ICH aus ergreife und begreife ich die Welt, die immer schon ist, die aber in meinem Konstrukt von der Welt zur Welt für mich wird. So wird mein Denken zum Ausgangspunkt für Welt, ICH, DU, WIR und GOTT. Auch wenn ich die anderen Beziehung(sicht)weisen einnehmen kann, kann ich das nicht ohne mein ICH. So wie ich ICH bin ist jeder andere auch sein ICH und konstruiert es.

DU

Erst im DU wird das ICH zum ICH. Ohne das DU bleibt das ICH „einsam“. Es konstruiert sich erst als Einzelnes und damit Besonderes im Gegenüber zum DU. Ich konstruiere das DU, das der andere ist, und das DU, das ich bin für den anderen. So entsteht ein ICH-Bewusstsein und ein DU-Bewusstsein. 

WIR

Was WIR ist nicht bloß die Summe aus ICH plus DU. Im WIR konstruiert sich ein drittes. Das WIR ist eine Beziehungs(sicht)weise, die neu und abhängig sowie unabhängig von ICH und DU ist. Sie ist abhängig, weil sie ohne ICH und DU nicht existieren würde. Sie ist unabhängig, weil sich im WIR etwas Neues konstruiert. Im WIR konstruiert sich ein Bewusstsein von Gemeinschaft, von Verbundenheit.

GOTT

In GOTT konstruiert sich ein Bewußtsein, dass außerhalb von dem Bewusstsein von ICH, DU und WIR ist. Die Beziehungs(sicht)weise von GOTT könnte man auch als Metasichtweise betrachten. Vielleicht ist es etwas wie „Transzendenz“. ICH, DU und WIR bleiben auf einer Ebene. Erst GOTT mach das Beziehungsmodell dreidimensional und jede der Beziehungs(sicht)weisen erhält so die Möglichkeit über sich hinaus zu schauen.

Die Bezogenheit der Beziehungs(sicht)weisen aufeinander

Alle Beziehungs(sicht)weisen existieren nur gemeinsam. Das ICH wird nur zum ICH durch ein DU. Das DU existiert nur, weil es ein ICH gibt. Das WIR existiert nur, weil es ein ICH und ein DU gibt. Und dieses WIR setzt ICH und DU in eine neue Beziehung. Sie sind nicht für sich alleine, sondern sie ergeben gemeinsam etwas Neues, was mehr ist als die Summe von ICH und DU. ICH, DU und WIR werden mehr durch GOTT. Sie bleiben nicht in ihrer Begrenztheit stecken, sondern werden auf eine andere „Ebene“ gehoben. Es ergibt sich eine neue Sinnhaftigkeit. GOTT ist nicht beziehungslos, sondern seine Sinnhaftigkeit entsteht durch die Beziehung zu ICH, DU und WIR. Man könnte sagen, durch GOTT erhalten ICH, DU und WIR eine besondere Würde. Sie bleiben nicht in einer möglicherweise Begrenztheit stecken.

Der Blick auf den Tetraeder als Blick auf das Ganze

Letztlich eröffnet der Blick auf den Tetraeder als Beziehungmodell die Möglichkeit, mich ganzheitlich zu sehen. Ich bin ICH, DU, WIR, GOTT. Das, was wie Beziehung nach außen wirkt, ist in Wirklichkeit Beziehung in mir und zu anderen. Ich bin immer schon dieses ICH, DU, WIR und GOTT. Der Tetraeder ermöglicht mir die Einnahme verschiedener Sichtweisen bzw. Beziehungssichtweisen auf mich. Das öffnet mich auf ein Mehr und auf eine ganzheitliche Sicht. Als Person bin  ich all das, was den Tetraeder ausmacht. 
 

Für die systemisch-therapeutische Praxis

Wenn es in der systemischen Therapie darum geht Sichtweisen zu erweitern, ist das Tetraeder Beziehungsmodell eine Möglichkeit unterschiedliche Beziehungs(sicht)weisen einzunehmen. Methodische Möglichkeiten wären:

  1. Die Klientin bzw. der Klient schreiben auf vier Zettel „ICH“, „DU“, „WIR“ und „GOTT“, nachdem das Modell des Tetraeders  als Beziehungsmodell vorgestellt wurde, und verteilen die Zettel im Raum. Dann stellen sie sich auf die Zettel und betrachten von dort aus sich selber.
  2. Wie Nummer 1, aber mit der konkreten Frage: Was ist aus dieser Sichtweise hilfreich für mein Problem bzw. meine Fragestellung.
  3. Der Klientin bzw. dem Klient wird angeboten sich in dem Modell, nachdem es ihr bzw. ihm vorgestellt wurde, sich dort zu positionieren. Ist sie bzw. er mehr ICH, DU, WIR oder GOTT. Oder mehreres oder alles. Wenn ja, wo mehr, wo ist der Unterschied?
  4. Welche Glaubenssätze würde sie oder er mit den Worten „Ich …“, „Du …“, „Wir …“ oder „Gott …“ formulieren?
  5. Wo finde ich die Lösung, im ICH, im DU, im WIR oder in GOTT.
  6.  Frage: „Wenn ich auf die (geometrische) Figur des Tetraeders schaue, was löst das in mir aus, welche Gedanken, welches Gefühl?
  7. Frage: „Finde ich im Tetraeder eine Lösung, ein Hinweis, eine Veränderung?“
Vielleicht ist alles sehr komprimiert. Kann sein. Aber kreativ weiterdenken wird nichts schaden.

* Beziehungs(sicht)weisen = Beziehung + Beziehungsweise + Sichtweise

©️ Willi Oberheiden 2024

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