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"Die größte Hingabe ist diejenige, die man nicht aus Pflicht, sondern aus Liebe erbringt."

Hingabe

„Es war einmal ein kleines Mädchen, dem war Vater und Mutter gestorben, und es war so arm, daß es kein Kämmerchen mehr hatte darin zu wohnen und kein Bettchen mehr darin zu schlafen und endlich gar nichts mehr als die Kleider auf dem Leib und ein Stückchen Brot in der Hand, das ihm ein mitleidiges Herz geschenkt hatte. Es war aber gut und fromm. Und weil es so von aller Welt verlassen war, gieng es im Vertrauen auf den lieben Gott hinaus ins Feld. Da begegnete ihm ein armer Mann, der sprach „ach, gib mir etwas zu essen, ich bin so hungerig.“ Es reichte ihm das ganze Stückchen Brot und sagte „Gott segne dirs“ und gieng weiter. Da kam ein Kind das jammerte und sprach „es friert mich so an meinem Kopfe, schenk mir etwas, womit ich ihn bedecken kann.“ Da that es seine Mütze ab und gab sie ihm. Und als es noch eine Weile gegangen war, kam wieder ein Kind und hatte kein Leibchen an und fror: da gab es ihm seins: und noch weiter, da bat eins um ein Röcklein, das gab es auch von sich hin. Endlich gelangte es in einen Wald, und es war schon dunkel geworden, da kam noch eins und bat um ein Hemdlein, und das fromme Mädchen dachte „es ist dunkle Nacht, da sieht dich niemand du kannst wohl dein Hemd weg geben,“ und zog das Hemd ab und gab es auch noch hin. Und wie es so stand und gar nichts mehr hatte, fielen auf einmal die Sterne vom Himmel, und waren lauter harte blanke Thaler: und ob es gleich sein Hemdlein weg gegeben, so hatte es ein neues an und das war vom allerfeinsten Linnen. Da sammelte es sich die Thaler hinein und war reich für sein Lebtag.“ (Die Sternthaler. Brüder Grimm: Kinder- und Haus-Märchen Band 2, 1857.)

„… und gab es auch noch hin.“ An dieses Märchen und damit an dieses Mädchen musste ich denken, als ich mich dem Thema „Hingabe“ öffnete. Das Mädchen gibt nicht nur seinen Besitz es gibt sich ganz hin. Das Einzige was ihm blieb war sein Leben. Das wäre der nächste Schritt. Ganzhingabe ist Hingabe von Allem auch meinem Leben. Die Bereitschaft zu diesem letzten Schritt wird dem Mädchen gelohnt, dadurch dass es alles gewinnt. Die Hingabe wird ihm gelohnt durch das Geschenk des Lebens. Soweit meine Deutung.

Ich versuche mich nun auf unterschiedlichen Wegen der Hingabe zu öffnen. Der erste Weg war das Märchen. Der zweite Weg ist über die Sprache. Auch wenn das Wort „Hingabe“ in der Alltagssprache m.E. wenig gebraucht wird, so ist es dort verwandt der Leidenschaft, dem Eifer, dem Engagement oder der Anstrengung. Jemand macht etwas mit großer Hingabe an die Sache, eine Aufgabe oder einen Menschen. Es kann bezogen sein auf Sport, Musik, einen Beruf oder eben einen Menschen oder Gott. 

Was bedeutet es, sich an ein Objekt hinzugeben? Dies ist mein zweiter Weg. Die Hingabe ergibt sich aus dem Gegenüber. Nicht ich als Hingebender bin im Fokus sondern das, an das hingeben wird. Aber auch wenn das Objekt im Mittelpunkt steht, erhält es seine Bedeutung durch den Hingebenden. Es hat nicht seine Wesen, Objekt der Hingabe zu sein, aus sich heraus, sondern durch den sich Hingebenden. Das heißt, dass das Objekt der Hingabe nicht für jeden ein Objekt der Hingabe ist. Es ist meine Entscheidung ob etwas oder jemand zum Objekt meiner Hingabe wird. Ich denke, dass diese Entscheidung aus verschiedenen Quellen genährt wird. Ich vermute, es hat emotional etwas mit Liebe oder Leidenschaft zu tun. Es könnte aber auch Prägung sein. In der Erziehung oder im Erwachsen werden bildet sich die Leidenschaft z.B. für einen bestimmten Beruf heraus. Bezogen auf meine Frau ist Liebe, der Ursprung meiner Hingabe, verbunden mit meiner Entscheidung, mich ihr hinzugeben. Doch was bedeutet das?

Vielleicht ist Hingabe ein Akt oder ein permanenter bzw. dauerhafter Akt. Dies ist mein dritter Weg der Annäherung an Hingabe. Im sexuellen Akt als ein begrenzter Akt wird ein Teil der Hingabe deutlich. Ich bin ganz bezogen auf den anderen bzw. auf den sexuellen Akt selber. Der Akt erfüllt sich in der zugleich vollkommenen Zurücknahme meiner selbst und zugleich vollkommenen Erfüllung meiner selbst. Was dort körperlich erlebt werden kann, könnte ein Hinweis darauf sein, was sich bei jeglicher Hingabe ereignet. Hingabe wäre dann, dass ich in der vollkommenen Hingabe meiner selbst die vollkommene Erfüllung meiner selbst erlebe. Wenn ich mich z.B. einem Beruf hingebe, wird er für mich zur Berufung und zur Erfüllung. Der Beruf wird zum Objekt meiner Hingabe  durch meine Entscheidung. Die Hingabe geschieht m.E. auf einer existenziellen oder vielleicht auch spirituellen Ebene. Die Entscheidung mich meiner Frau hinzugeben bedeutet nicht, dass alle Probleme und Belastungen verschwinden. Es könnte bedeuten, dass alle unsere Probleme und Belastungen getragen werden von meiner Hingabe an meine Frau. Meine Hingabe verändert unsere Beziehung vom Grundsatz her. Ich denke, es beruht nicht auf dem Prinzip der Gegenseitigkeit, weil der andere immer frei ist in seiner Entscheidung wie ich. Die Frage der Hingabe ist unabhängig von der Tatsache, dass ich mit meiner Frau verheiratet bin. Das heißt auch, dass es auch andere Formen des intensiven und exklusiven Bezogenseins gibt als die Hingabe.

Die Hingabe an Gott ist für mich ähnlich aber nicht gleich. Dies ist mein vierter Weg. Ich gebe mich hin an den, der mir das geschenkt hat, was ich hingebe. Es ist mein Leben als Ganzes. In diesem existenziellen Akt erhalte ich alles zurück wie das Mädchen im Märchen. Es ist allerdings etwas komplizierter, denn ich habe alles zurückbekommen, bevor ich es hingegen habe. Vielleicht ist eine sprituelle Hingabe. Meine Hingabe an Gott und die Hingabe Gottes an mich sind eins. Ich weiß nicht, ob ich das denkend erfassen kann. Vielleicht erfasse ich es im Vollzug.

Mein fünfter Weg der Annäherung an Hingabe ist die Hingabe an mich. Ich werde zum Objekt der Hingabe. Vielleicht ist es schwerer, beschenkt zu werden als zu schenken. Zugestandenermaßen trifft das bei mir zu. Umso wertvoller ich für mich die Frage, was geschieht, wenn sich jemand mir hingibt. Wenn ich es zulassen kann, entsteht bei mir ein tiefes Gefühl der Dankbarkeit. Es findet seinen Ausdruck in genau diesem Wort „Danke“.

Und dann bleibt als letzter Weg meine Hingabe an mich selbst. Es ist die Hingabe an den, den ich vielleicht am besten kenne einschließend der dunklen, unbekannten Anteile. Hingabe kann nur ganz sein. Bin ich selber das Objekt meiner Hingabe, so gehören alle Seiten meiner selbst dazu: Gute und schlechte, angenehme und unangenehme, Gelingen und Scheitern, Leiden und Schmerz, Glück und Trauer, Leben und Tod. Vielleicht werde ich auf diesem Weg versöhnt mit mir selber. Vielleicht werde ich auf diesem Weg versöhnt mit meinem Leben, mit dem Leben überhaupt, mit Gott, mit den Anderen.

Und noch ein Hinweis im Lied von Arthur Baker, vielleicht besser bekannt als gesungen von Al Green. Ich denke, die Schwester der Hingabe ist die Liebe. Alles aus Liebe

"Love is the message and the message is love"

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